Grundeinkommen als sozialpolitische Alternative zu Hartz IV – Ronald Blaschke kontert Kritik

Das bundesweite Netzwerk für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), am 9.Juli 2004 als soziales und kulturelles Gegenkonzept zu den an diesem Tag im Bundestag beschlossenen Hartz-IV-Gesetzen gegründet, zog kürzlich in Berlin eine zehnjährige positive Bilanz seiner bisherigen Kampagnen. Die Nienburger BGE-Bürgerinitiative war dort durch Axel Nürge (Stolzenau) vertreten und hatte aus Anlaß des Jubiläums Ronald Blaschke (Berlin), den Mitbegründer des BGE-Netzwerks und einen der versiertesten Kenner der BGE-Szene, nach Nienburg eingeladen.

In einem temparamentvollen öffentlichen Vortrag verschaffte Roland Blaschke den etwa 25 Anwesenden im Gemeindehaus der Kreuzkirche einen Überblick zu den inzwischen erreichten Fortschritten in der deutschen, europäischen und globalen Grundeinkommens-Debatte. Eine weltweite Basic-income-Initiative ist entstanden, in Europa gibt es derzeit 20 EU-Länder mit BGE-Netzwerken, davon ist Schweiz mit einer in zwei Jahren vorgesehenen Volksabstimmung am weitesten vorangekommen. In Deutschland unterstützen eine Anzahl von Initiativen und Institutionen die BGE-Alternative, so die attac-AG „Genug für alle“, unabhängige Erwerbsloseninitiativen und die katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) sowie die Parteien der Piraten, Grünen und Linken in ihren Bundestagswahlprogrammen 2013 mit der Forderung nach Einsetzung einer Enquete-Kommission des Bundestags zum Grundeinkommen.

Die beim Vortrag anwesende Kreisvorsitzende von Bündnis ’90/Die Grünen, Mechthild Schmithüsen, sowie Vertreter der Linken und Dorian Spange vom Kreisverband der Piraten nahmen erfreut zur Kenntnis, das die sozialpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen der Grünen und der Linken unter Beteiligung des Netzwerkrates im Gespräch seien, um die auch von den drei genannten Parteien und der BI in Nienburg gemeinsam geforderte Enquete-Kommission zum Grundeinkommen baldmöglich im Bundestag einzurichten.

Ökologisches Grundeinkommen mit Ulrich Schachtschneider

„Das ökologische Grundeinkommen (ÖGE) hat das Potential, gleich aus mehreren Widersprüchen der bisherigen Umweltpolitik herauszuführen. Es kann die Ökosteuer sozial gestalten, es erhält die Freiheit des Lebensstils jedes Menschen trotz ökologischer Einschränkungen, es schafft Akzeptanz für den als bedrohlich empfundenen Strukturwandel der Wirtschaft und es eröffnet Räume für einen individuell genügsamen Lebensstil. Das ÖGE ist also ein zentrales Element eines Gesellschaftsvertrages zugunsten des sozial-ökologischen Fortschrittes.“ Dieses Fazit zog Ulrich Schachtschneider, Politologe und Diplomingenieur aus Oldenburg aus seinem Vortrag, den er während der internationalen Woche des Grundeinkommens im Nienburger Kulturwerk hielt.

In seiner Begrüßung wies Axel Nürge, einer der Sprecher der „BI BGE Nienburg“ auf die besondere Bedeutung der 7. Internationalen Woche des Grundeinkommens hin: „In einer Zeit – zunehmend gewaltsamer – Konflikte in Europa wollen wir auf die soziale und demokratische Bedeutung des bedingungslosen Grundeinkommens hinweisen. Es kann zur Grundlage für die Stärkung des sozialen Zusammenhaltes in Europa werden. „Mit dem Thema des heutigen Abends betritt unsere Bürgerinitiative Neuland“, erläuterte der BI-Sprecher. „Nachdem wir in letzter Zeit die Schritte zum Grundeinkommen und dessen Finanzierung behandelt haben, wenden wir uns jetzt einem neuen Thema zu, das weitere interessante Aspekte in unsere Diskussion bringen dürfte“, so Axel Nürge zur Einführung ins Thema.

„Die traditionelle Umweltpolitik stößt in ihrer jetzigen Ausprägung auf systemische Grenzen“, stellte der Referent des Abends, Ulrich Schachtschneider, gleich zu Anfang seines Vortrages klar. So würden ökologische Steuern auf Strom, Gas und Öl die ärmeren Haushalte überproportional belasten und umweltschädliche Produktionsweisen mit dem Totschlagargument des Erhalts von Arbeitsplätzen verteidigt. Auch mit ordnungspolitischen Geboten und Verboten könne Umweltpolitik nur bedingt gestaltet werden und ökologisch orientierte Lebensstile fristeten immer noch ein Nischendasein.

Den stillen Helden eine Stimme geben: Sozialethiker Prof. Segbers fordert Pflege-Grundeinkommen

Der Referent Prof. Dr. Segbers neben den Veranstaltern des Abends, Pastor Frank-Peter Schulz (Kreuzkirche Nienburg), Marion Schaper (Diakonisches Werk Nienburg) und Wolfgang Kopf (BI BGE) (v.l.n.r.)


Große Aufmerksamkeit bei den etwa 40 Anwesenden fand Dr. Segbers, Professor für Sozialethik an der Universität Marburg, auch mit seinem zweiten Vortrag im Gemeindehaus der Kreuzkirche.

In den Mittelpunkt stellte er dabei ein engagiertes Plädoyer für die gleichwertige Würdigung und Honorierung aller Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Dazu zählten nicht nur die bundesweit 56 Milliarden Stunden in der Erwerbsarbeit, sondern ebenso die 96 Milliarden Stunden (Statistik-Daten von 2001) der meist von Frauen geleisteten Care- oder Sorgearbeit in der Haus-, Erziehungs-, Bildungs-, Pflege- und Freiwilligenarbeit. Die bislang zum Nulltarif den „stillen Helden“ (Angela Merkel, Regierungserklärung 2013) abverlangte Arbeit dürfe — auch vor dem Hintergrund immer prekärerer Erwerbs- und Familienverhältnisse — nicht länger als privates Risiko gelten. Sie müsse als gesamtgesellschaftliche, neue sozialstaatliche Aufgabe begriffen und existenzsichernd mit einem „temporären“ Grundeinkommen von etwa 1000 Euro honoriert werden. Professor Segbers bedauerte, dass das Konzept eines temporären Grundeinkommens für familiär Pflegende derzeit durch eine neoliberale Sparpolitik im Sozialbereich bei gleichzeitiger „unverschämter“ Reichtumsmehrung der Geldeliten blockiert werde. Auch das kirchliche Sozialwort von 2007 sei — im Gegensatz zu dem von 1995 — nur der Erwerbsarbeit samt Niedriglohnsektor und einem „aktivierenden Sozialstaat“ verpflichtet. Biblisch und sozialethisch geboten sei aber, an der Seite der Armen und Armutsgefährdeten zu stehen und „die Komplizenschaft mit dem System der Sünde in Gestalt des Finanzmarkt-Kapitalismus aufzukündigen“. Die Glaubwürdigkeitskrise unserer „dual gespaltenen Gesellschaft“ könne nicht durch eine „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel) überwunden werden. Dazu bedürfe es eines neuen, solidarischen Gesellschaftsvertrages, der auch die hohen und höchsten Kapitaleinkommen zum Ausbau eines humanen Sozialstaates heranziehe (www.care-revolution.de).