Bekämpfung der Kinderarmut muss Priorität haben


Quelle: Adobe Stock, Die Harke am Sonntag Nr. 46, 2018

Mehr als drei Millionen Kinder und Jugendliche erfahren jeden Tag Ausgrenzung und Armut. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden. „Das ist ein sozialpolitischer Skandal erster Güte“, so die Sprecherin der Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen Nienburg/Weser, Gudrun Selent-Pohl. „Bislang wurde von der Regierung viel angekündigt, aber wenig umgesetzt“, kritisierte Sprecherin Pohl.

Die Bürgerinitiative hatte sich anlässlich der Tagung der nationalen Armutskonferenz vom 7. November 2018 und des im Oktober veröffentlichten Berichtes des UN-Wirtschafts- und Sozialrates über die soziale Lage in Deutschland wieder einmal ausführlich mit dem Thema beschäftigt.
„Um Kindern eine gerechte Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten, muss ihr Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum gesichert sein. So gibt es auch die UN-Kinderrechtskonvention in den Artikeln 26 und 27 vor“, erläuterte BI-Sprecher Dorian Spange.

BI-Sprecher Wolfgang Kopf erklärte: „Die Bundesregierung hält an der traditionellen Familienförderung bestehend aus Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kinderzuschlag samt Teilhabepaket für sozial Benachteiligte fest. Wir brauchen aber ein Alternativkonzept, um die Kinderförderung endlich wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.“
Enttäuscht zeigte sich die Bürgerinitiative in diesem Zusammenhang über die Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Maik Beermann zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland anlässlich des Weltkindertages (Die Harke vom 10. Oktober 2018).

„Das von Maik Beermann angesprochene Maßnahmenbündel im Koalitionsvertrag reicht bei weitem nicht aus, um die vorhandene Kinderarmut wirksam bekämpfen zu können, sondern würde sie zum Teil eher noch verstetigen“, kritisierte BI-Sprecher Wolfgang Kopf. „Besonders der Kindergeldzuschlag erreicht Kinder Im Hartz IV-Bezug gar nicht, weil die Erhöhung mit den SGB-II-Leistungen verrechnet wird. Auch das Bildungs- und Teilhabepaket ist wenig geeignet, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, da es von vielen Familien nicht abgerufen wird, weil sie damit als Hartz IV-Familie stigmatisiert werden. Wir sind als Bürgerinitiative vom CDU-Bundestagsabgeordneten enttäuscht, da wir ihm diese Tatsachen anlässlich unserer Veranstaltung zur Kindergrundsicherung (Die HamS vom 17. September 2017) auch mitgeteilt haben“, so Wolfgang Kopf weiter.

Kindergrundsicherung für alle!


Dis­ku­tier­ten über eine ein­heit­li­che Kin­der­grund­si­che­rung von 573 Euro bis zum 27. Le­bens­jahr: Wolf­gang Kopf, Ul­rich Kapp, Katja Keul, Axel Nürge und Mar­tina Bro­schei.

Ein Herz für Kinder? Abseits der Wohlstandsquartiere, in denen sich nach neuen Umfragen 60 Prozent der Deutschen „so gut wie nie zuvor“ fühlen, spielt sich in den abgehängten, inzwischen über 15 Prozent der Hartz-IV-Familien ein existentielles Drama ab. 2,5 Millionen ihrer Kinder sind armutsgefährdet, weil sie bei der staatlichen Kinderförderung – Steuerfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag – leer ausgehen.

Ihr Förderbetrag wird vom ohnehin schmalen Sozialgeld abgezogen. Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Bürgerinitiative (BI) Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) im Vorfeld der Bundestagswahl ein öffentliches Parteienforum.

Eingeladen waren VertreterInnen von vier Parteien, die als alternatives Konzept eine einheitlichen Kindergrundsicherung (KGS) befürworten: Ulrich Kapp (Partei Bündnis Grundeinkommen), Martina Broschei (Piratenpartei), MdB Katja Keul (Grüne) und Axel Nürge (Linke). Das KGS-Projekt wurde 2009 vom Bündnis Kindergrundsicherung entworfen und Ende 2016 durch die Grünen (November) und die Linken (Dezember) in den Bundestag eingebracht – dort aber mit der Stimmenmehrheit von CDU/CSU und SPD verworfen.

Vor etwa 30 ZuhörerInnen erläuterte Wolfgang Kopf (BGE) zunächst das traditionelle Drei-Säulen-Konzept der Kinderförderung. Er bezeichnete es kritisch als Vier-Klassen-Förderung. Für Besserverdienende beträgt die monatliche Entlastung durch steuerlich absetzbare Kinderfreibeträge bis zu 280 Euro, auch Ausgaben für Kinderbetreuung und Privatschulen können steuersparend abgesetzt werden.

Kinder von Erwerbstätigen mit mittleren und unteren Einkommen erhalten pro Kind Kindergeld von derzeit gut 190 Euro. Hartz-IV-gefährdete Familien können zusätzlich zum Kindergeld einen Kinderzuschlag von bis zu 170 Euro monatlich beantragen. Für die Ärmsten, die erwerbslosen Hartz-IV-Familien, entfällt die Kinderförderung. Ihre Anspruch auf Kindergeld/Kinderzuschlag ist mit dem Kindersozialgeld (je nach Alter 237 bis 311 Euro monatlich) abgegolten. Sie gehen leer aus. „Ein sozialpolitischer Skandal“, wie der Sozialethiker Prof. Franz Segbers bei seinem Besuch in Nienburg betont hatte.

Sozialethik-Professor Segbers in Nienburg

DIE HARKE vom 10. Mai 2014, Nr. 108, S. 24

Am Dienstag, 13. Mai, um 19.30 Uhr spricht Dr. Franz Segbers, Professor für Sozialethik an der Universität Marburg, im Gemeindesaal der Kreuzkirche in Nienburg auf Einladung des Diakonischen Werkes, der Kreuzkirche und der Bürgerinitiative „Bedingungsloses Grundeinkommen Nienburg“. Der Eintritt ist frei.

Thema von Prof. Segbers, der im vergangenen Jahr mit einem Grundsatz-Vortrag zum Ausbau des Sozialstaates durch ein von der Erwerbsarbeit abgekoppeltes Grundeinkommen große Aufmerksamkeit in Nienburg fand, ist diesmal die private und gesellschaftliche „Care-Arbeit“. Der durch Alterung, Vereinsamung, sowie durch Stress bedingte Krankheitsprozesse steigende Bedarf könne mit den bisherigen familiären und gesellschaftlichen Sorge-Konzepten nicht mehr abgedeckt werden. Profitorientierte Angebote würden eindringen und führten zu prekärer Arbeit und Überforderungen bei den professionellen Pflegekräften der Sorgeeinrichtungen.
In der familiären Kindererziehung und Pflege gebe es Eltern- oder Pflegegeld nur als individuell zu beantragenden Anspruch auf eine Auszeit auf eigene Kosten.
Prof. Segbers schlägt aus sozialethischer Sicht als Alternative den Weg zu einer humanen Sozialstaatlichkeit vor, die jede Form von Arbeit (Haus-, Erziehungs-,Pflege- Freiwilligen- und Erwerbsarbeit) gleichermaßen honoriert und den Menschen nicht nur nach seinem Beitrag zur Erwerbsarbeit würdigt. Sein Thema ist dieses Mal: „Sorge für andere erfordert ein Grundeinkommen“. Dieses neue Sorge-Konzept wird er in Nienburg erstmals öffentlich erläutern und zur Diskussion stellen.