Grundeinkommen statt Altersarmut

Ohne die Einführung eines Rentengrundeinkommens als einen Schritt hin zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) droht die Gesellschaft in Altersarmut zu versinken. So lautet das Fazit einer Veranstaltung, die die Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen Nienburg (BI BGE Nienburg) im Rahmen des 3. Internationalen BGE-Stammtisches in der bereits zum 12. Mal stattfindenden alljährlichen Woche des Grundeinkommens durchgeführt hat. Die Referenten Wolfgang Kopf und Axel Nürge, beide im Sprecher*innenkreis der Bürgerinitiative, stellten der fortschreitenden Altersarmut das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens gegenüber.
In seinem Eingangsstatement wies Wolfgang Kopf darauf hin, dass die Altersarmut ihre Ursache in der von der damaligen rot-grünen Koalition beschlossenen Agenda 2010 mit der Hartz IV-Gesetzgebung hat: „Durch die von der SPD und den Grünen im Jahr 2005 beschlossene Absenkung der Rente um 10% von damals 53 % auf 43 % im Jahr 2030 (Stand heute: 48 %) ist die Gesellschaft bis weit in die Mittelschicht von der fortschreitenden Altersarmut betroffen.“Ausgehend von einer Armutsrisikogrenze von 1.140 Euro sind aktuell ca. 2,8 Millionen Menschen von Altersarmut betroffen. „Es ist das traurige Verdienst der damaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen im Jahre 2011 auf das Rentenproblem aufmerksam gemacht zu haben, ohne aber die notwendigen Veränderungen am Rentensystem vorzunehmen. Auch in den folgenden Jahren hat es keine substanziellen Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente gegeben, egal ob nun von der Lebensleistungsrente, Solidarrente, Basisrente, Garantierente, Respektrente oder im jüngsten Fall von der Grundrente gesprochen wurde,“ erläuterte Kopf abschließend.
Der Co-Referent des Abends, Axel Nürge, kritisierte die Rentenpolitik der Bundesregierung als staatlich organisierte Handlungsunwilligkeit: „Von Ursula von der Leyens Lebensleistungsrente bis aktuell zur Grundrente – von marginalen Verbesserungen einmal abgesehen – hat sich in der Rentenpolitik in den letzten Jahren absolut nichts getan.“Dabei wäre entschiedenes Handeln der Bundesregierung dringend notwendig. Laut einer Anfrage der Linken drohe 15 Millionen Menschen (ca. 40 %) zukünftig Altersarmut.Nürge weiter: „Wir brauchen einen erneuten Paradigmenwechsel in der gesetzlichen Rente. Das Rentenniveau muss wieder auf 53 % angehoben werden, bei gleichzeitiger Einführung einer Mindestrente von derzeit 1.180 Euro für Menschen aus dem Niedriglohnbereich. Des weiteren brauchen wir einen Mindestlohn von derzeit 13 Euro die Stunde. Das Renteneintrittsalter sollte nicht auf über 65 Jahre klettern; besser wäre es sogar den Renteneintritt schrittweise auf 60 Jahre abzusenken. Die private Altersvorsorge darf nicht weiter gefördert werden, die dadurch frei werdenden Mittel müssen wieder in die gesetzliche Rente einfließen. Zur weiteren Finanzierung schlage ich eine solidarische Bürger*innenversicherung vor, in die alle Einkommensbeziehenden in voller Höhe einzahlen müssen.“Begleitet werden müsse der Umbau des Rentensystems mit der Abschaffung und einem Verbot prekärer Arbeitsverhältnisse, wie Leiharbeit, Zeitarbeit, Werkverträgen, Befristungen und allen anderen Arten der Beschäftigung im Niedriglohnbereich“, erläuterte Nürge.Er sei sich allerdings sicher, dass mit all diesen Schritten die Altersarmut großer Bevölkerungsgruppen nicht mehr oder nur noch unzureichend gelöst werden könne. Dazu habe das Hartz IV System während der letzten 16 Jahre zu großen Schaden im deutschen Sozialsystem angerichtet. Als Lösung des Problems sähe er das BGE, hier speziell in Form eines Rentengrundeinkommens, wie es die Bürgerinitiative in den Schritten zum Grundeinkommen formuliert habe.Axel Nürge abschließend: „Nach dem derzeitigem Stand der Berechnungen würde die Höhe des BGE 1.180 Euro betragen. Zusammen mit den Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung hätten dann alle Rentner und Rentnerinnen eine Rente in Lebensstandard sichernder Höhe zur Verfügung. Altersarmut wäre somit ausgeschlossen.“ 

Grundeinkommen als sozialpolitische Alternative zu Hartz IV – Ronald Blaschke kontert Kritik

Das bundesweite Netzwerk für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), am 9.Juli 2004 als soziales und kulturelles Gegenkonzept zu den an diesem Tag im Bundestag beschlossenen Hartz-IV-Gesetzen gegründet, zog kürzlich in Berlin eine zehnjährige positive Bilanz seiner bisherigen Kampagnen. Die Nienburger BGE-Bürgerinitiative war dort durch Axel Nürge (Stolzenau) vertreten und hatte aus Anlaß des Jubiläums Ronald Blaschke (Berlin), den Mitbegründer des BGE-Netzwerks und einen der versiertesten Kenner der BGE-Szene, nach Nienburg eingeladen.

In einem temparamentvollen öffentlichen Vortrag verschaffte Roland Blaschke den etwa 25 Anwesenden im Gemeindehaus der Kreuzkirche einen Überblick zu den inzwischen erreichten Fortschritten in der deutschen, europäischen und globalen Grundeinkommens-Debatte. Eine weltweite Basic-income-Initiative ist entstanden, in Europa gibt es derzeit 20 EU-Länder mit BGE-Netzwerken, davon ist Schweiz mit einer in zwei Jahren vorgesehenen Volksabstimmung am weitesten vorangekommen. In Deutschland unterstützen eine Anzahl von Initiativen und Institutionen die BGE-Alternative, so die attac-AG „Genug für alle“, unabhängige Erwerbsloseninitiativen und die katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) sowie die Parteien der Piraten, Grünen und Linken in ihren Bundestagswahlprogrammen 2013 mit der Forderung nach Einsetzung einer Enquete-Kommission des Bundestags zum Grundeinkommen.

Die beim Vortrag anwesende Kreisvorsitzende von Bündnis ’90/Die Grünen, Mechthild Schmithüsen, sowie Vertreter der Linken und Dorian Spange vom Kreisverband der Piraten nahmen erfreut zur Kenntnis, das die sozialpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen der Grünen und der Linken unter Beteiligung des Netzwerkrates im Gespräch seien, um die auch von den drei genannten Parteien und der BI in Nienburg gemeinsam geforderte Enquete-Kommission zum Grundeinkommen baldmöglich im Bundestag einzurichten.

Den stillen Helden eine Stimme geben: Sozialethiker Prof. Segbers fordert Pflege-Grundeinkommen

Der Referent Prof. Dr. Segbers neben den Veranstaltern des Abends, Pastor Frank-Peter Schulz (Kreuzkirche Nienburg), Marion Schaper (Diakonisches Werk Nienburg) und Wolfgang Kopf (BI BGE) (v.l.n.r.)


Große Aufmerksamkeit bei den etwa 40 Anwesenden fand Dr. Segbers, Professor für Sozialethik an der Universität Marburg, auch mit seinem zweiten Vortrag im Gemeindehaus der Kreuzkirche.

In den Mittelpunkt stellte er dabei ein engagiertes Plädoyer für die gleichwertige Würdigung und Honorierung aller Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Dazu zählten nicht nur die bundesweit 56 Milliarden Stunden in der Erwerbsarbeit, sondern ebenso die 96 Milliarden Stunden (Statistik-Daten von 2001) der meist von Frauen geleisteten Care- oder Sorgearbeit in der Haus-, Erziehungs-, Bildungs-, Pflege- und Freiwilligenarbeit. Die bislang zum Nulltarif den „stillen Helden“ (Angela Merkel, Regierungserklärung 2013) abverlangte Arbeit dürfe — auch vor dem Hintergrund immer prekärerer Erwerbs- und Familienverhältnisse — nicht länger als privates Risiko gelten. Sie müsse als gesamtgesellschaftliche, neue sozialstaatliche Aufgabe begriffen und existenzsichernd mit einem „temporären“ Grundeinkommen von etwa 1000 Euro honoriert werden. Professor Segbers bedauerte, dass das Konzept eines temporären Grundeinkommens für familiär Pflegende derzeit durch eine neoliberale Sparpolitik im Sozialbereich bei gleichzeitiger „unverschämter“ Reichtumsmehrung der Geldeliten blockiert werde. Auch das kirchliche Sozialwort von 2007 sei — im Gegensatz zu dem von 1995 — nur der Erwerbsarbeit samt Niedriglohnsektor und einem „aktivierenden Sozialstaat“ verpflichtet. Biblisch und sozialethisch geboten sei aber, an der Seite der Armen und Armutsgefährdeten zu stehen und „die Komplizenschaft mit dem System der Sünde in Gestalt des Finanzmarkt-Kapitalismus aufzukündigen“. Die Glaubwürdigkeitskrise unserer „dual gespaltenen Gesellschaft“ könne nicht durch eine „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel) überwunden werden. Dazu bedürfe es eines neuen, solidarischen Gesellschaftsvertrages, der auch die hohen und höchsten Kapitaleinkommen zum Ausbau eines humanen Sozialstaates heranziehe (www.care-revolution.de).