BI Grundeinkommen befragt Bundestags-Kandidierende im Wahlkreis 40
Deutschland – ein Ort, in dem wir gut und gerne leben? Für fast die Hälfte der hiesigen Bevölkerung wird dieser der scheidenden Bundeskanzlerin zugeschriebene Satz zunehmend zur leeren Floskel. Laut Auskunft der Bundesregierung droht 40% der RentnerInnen – 15 Millionen Menschen – zukünftig Altersarmut. Schon jetzt leben 15% der Familien im Hartz-IV-Bezug – mit viel zu niedrigen Regelsätzen, entwürdigenden Sanktionen, von sozialer Wertschätzung ausgegrenzt. Fast 3 Millionen ihrer Kinder sind armutsgefährdet.
Welche Lösungsangebote haben die örtlichen Bundestags-Kandidierenden für die zunehmende soziale Spaltung? Ein Projektteam der BI Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) Nienburg/Weser erhielt ausführliche Antworten von MdB Maik Beermann (CDU), MdB Marja-Liisa Völlers (SPD), MdB Katja Keul (Grüne), Lennart Dahms (Die Linke) und Gabriele Tautz (Tierschutzpartei). Von FDP und Freie Wähler ging keine Antwort ein, AfD und dieBasis wurden nicht befragt.
Die soziale Zukunfts-Idee eines existenzsichernden BGE für alle ist zwar in der öffentlichen Pro-Contra-Debatte angekommen, wird aber nur schrittweise und in den notwendigsten Defizitbereichen des Sozialstaats „ausprobiert“ werden können. Darum zielten die Lösungsanfragen auf die lebensbegleitenden Sozialprogramme zur Kindergrundsicherung, zur Ausbildungs- und Studienförderung, zur Mindestsicherung bei Erwerbsausfall und zur armutsfesten Alterssicherung.
Armutsfeste Kindergrundsicherung (aktuell 637 Euro)
Einen ersten Hoffnungsschimmer warf die Frage zur Kindergrundsicherung. Zwar will die CDU an dem bisherigen System des steuerabzugsfähigen Kinderfreibetrags, am Kindergeld/Kinderzuschlag sowie am Abzug vom Hartz-IV-Satz festhalten und den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende weiter erhöhen. Aber Grüne, Linke, SPD und Tierschutzpartei wollen die Kinderförderung neu und armutsfest „vom Kopf auf die Füße“ stellen. Die verschiedenen Leistungen wie Kinderfreibeträge, Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinder-Sozialgeld und Bedarfe für Bildung und Teilhabe werden zusammengefasst und bis zum 25. bzw. 27.Lebensjahr ausgezahlt. Diese neue, eigenständige, steuerfinanzierte Kindergrundsicherung umfasst einen Garantie- oder Basisbetrag für jedes Kind – ein partielles Grundeinkommen (Die Linke 328 Euro, SPD ca. 250 Euro, Grüne und Tierschutzpartei noch ohne Betragshöhe). Zweite Säule ist ein etwa doppelter Höchst- oder Plusbetrag von ca. 500 Euro. Das vom Kinderschutzbund getragene Bündnis Kindergrundsicherung fordert einen Gesamtbedarf von aktuell ca.637 Euro (393 Euro Existenzminimum lt.Bundesverfassungsgericht plus Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsgeld).
Grundsicherung für Auszubildende und Studierende (ca.1.200 Euro)
Für die Jugend fordert die BGE-Initiative als Schritt zum allgemeinen Bildungsgrundeinkommen die Zahlung eines elternunabhängigen, rückzahlungsfreien Ausbildungs- und Studiengeldes oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums von ca. 1.200 Euro für Auszubildende und Studierende. Während Lennart Dahms (Die Linke) und Gabriele Tautz (Tierschutzpartei) die genannte Forderung insgesamt unterstützen, will Katja Keul (MdB Grüne) das bestehende BAföG „substantiell erhöht“ (861 Euro Höchstbetrag) zur Grundsicherung für Auszubildende und Studierende mit einem Garantiebetrag für alle und einem Bedarfszuschuss im zweiten Schritt umbauen – perspektivisch auch elternunabhängig und „altersunabhängiger“.
Marja-Liisa Völlers (MdB SPD) will das neue Kindergeld (ca. 750 Euro) als Basisabsicherung für alle Jugendlichen bis zu 25 Jahren in Ausbildung und Studium einsetzen – mit einem zusätzlichen BAföG-Fördersatz „obendrauf“. Außerdem wird die BAföG-Altersgrenze aufgehoben und zum Vollzuschuss zurückgekehrt. Die genannten Umbaupläne zum bisherigen BAföG-System lehnt Maik Beermann (MdB CDU) ab, befürwortet aber die Öffnung für eine elternunabhängige Auszahlungsphase, fordert allerdings die Berücksichtigung des elterlichen Vermögens bei der Rückzahlung.
Sanktionsfreie Mindestsicherung für Erwerbslose (derzeit 1.200 Euro)
Die Ablösung des Hartz-IV-Regimes für Erwerbssuchende durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung oberhalb des soziokulturellen Existenzminimums von ca. 1.200 Euro befürworten Die Linke und die Tierschutzpartei. Die Linke will den Regelsatz von 411 auf 658 Euro plus Stromkosten anheben. Maik Beermann (MdB CDU) lehnt eine sanktionsfreie Mindestsicherung ab, da sie „die staatlichen Anreize zur Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses verringert“. Die SPD will die Hartz-IV-Grundsicherung zu einem „Bürgergeld“ entwickeln. (Neue) Regelsätze sollen sich am sozioökonomischen Existenzminimum und an gesellschaftlicher Teilhabe ausrichten (Armutsrisikogrenze derzeit 1.140 Euro), „sinnwidrige“ und „unwürdige“ Sanktionen sollen abgeschafft werden, nicht aber das Sanktionsregime insgesamt. Die Absicherung soll personen- statt haushaltsbezogen, „anderes Einkommen“ nicht angerechnet und Vermögen und Wohnungsgröße in den ersten zwei Jahren der Erwerbslosigkeit nicht überprüft werden. Die Grünen wollen nun „Hartz-IV überwinden und (es) ersetzen durch eine Garantiesicherung. Sie (…) garantiert ohne Sanktionen das soziokulturelle Existenzminimum (…) dass wir neu berechnen und dabei die jetzigen Kürzungstricks beenden“. Der Regelsatz soll „mindestens 50 Euro“ angehoben, die neue Grundsicherung schrittweise
individualisiert und die Auszahlung ins Steuersystem integriert werden.
Solidarische Mindestrente im Alter (ca. 1.200 Euro)
Völlig unterschiedliche Lösungsansätze gibt es zur steigenden Altersarmut. Die CDU hält an den drei Säulen staatliche Rentenversicherung, betriebliche und private Altersvorsorge fest. MdB Beermann: „Wer sein Leben lang gearbeitet oder Kinder erzogen hat, muss mehr haben als jemand, der nicht gearbeitet hat.“ Hartz-IV-Bezieher*innen sollten im Rentenalter grundsätzlich in ihrem Wohneigentum bleiben können, eine Notlagenreserve behalten. Die SPD hat „gegen den Widerstand der Union“ (MdB Völlers) die „Grundrente“ zur Aufstockung nicht existenzsichernder Kleinrenten mit über 35-jähriger Erwerbstätigkeit durchgesetzt und will eine geschlechtergerechtere, familienbedingte Tätigkeiten anrechnende Rentenberechnung einführen, um Altersarmut einzudämmen. Die Lösungsansätze der Linken, der Grünen und der Tierschutzpartei kommen einer armutsfesten Mindest-Altersrente von ca. 1.200 Euro
(Armutsrisikogrenze derzeit 1.140 Euro) am nächsten. So will Die Linke eine Aufstockung niedrigerer Alterseinkommen auf eine „solidarische Mindestrente von 1.200 Euro“ bei (Wieder-)Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und einer Absenkung des Renteneintrittsalters auf 63 Jahre. Die Grünen wollen die Grundrente „zu einer echten Garantierente weiterentwickeln“, die Altersarmut für alle abbaut. Die gesetzliche Rentenversicherung soll schrittweise zu einer Bürger*innenversicherung ausgebaut werden, in die „perspektivisch alle einbezogen und damit gut gesichert sind“. Das Konzept der Bürger*innenversicherung wird auch von SPD, Linken und Tierschutzpartei vertreten. Gabriele Tautz: „Auch Beamte und Abgeordnete sollten einen Beitrag leisten!“
Aus Sicht der Bürgerinitiative greifen aber alle genannten Konzepte nicht weit genug, da sie nur bis zur Armutsrisikogrenze führen. Für ein gutes Leben ist die Einführung eines steuerfinanzierten Grundeinkommens (ca.1.200 Euro) zusammen mit den erworbenen Rentenansprüchen unabdingbar.
Zur Akzeptanz des Bedingungslosen Grundeinkommens (ca. 1.200 Euro)
Obgleich in Repräsentativumfragen etwa 50 Prozent der Bevölkerung die Einführung eines existenz- und teilhabesichernden BGE mit individuellem Rechtsanspruch, ohne Bedürftigkeitsprüfung, Arbeitsverpflichtung, Gegenleistungen oder Sanktionen in Deutschland befürworten, sind die befragten Parteien bis auf die Tierschutzpartei gegenüber dem BGE zurückhaltend bis ablehnend. Bei den Grünen und den Linken gibt es jedoch starke BGE-Arbeitsgemeinschaften, bei den Linken eine Mitgliederbefragung und bei den Grünen eine Befürwortung von bundesweiten BGE-Modellprojekten. Zudem wurde das BGE in das Grundsatzprogramm der Grünen aufgenommen.
Im Kulturwerk Nienburg findet am Freitag, 24.9. um 19:30h eine öffentliche Diskussion zum Thema statt. Es gelten die 3G-Regeln.