Hartz-IV-Kritikerin plädiert für Bedingungsloses Grundeinkommen
Streitbar und kompetent – so erlebten die etwa 40 ZuhörerInnen, mehrheitlich Hartz-IV-Betroffene, den zweiten Auftritt der bundesweit bekannten „Hartz-IV-Rebellin“ Inge Hannemann (47) im Nienburger Kulturwerk. Die frisch gewählte Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft sprach auf Einladung der örtlichen Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) zum Thema „10 Jahre Hartz IV – Erfolgsmodell oder Armutsfalle?“, kritisierte das geplante Hartz-IV-„Rechtsvereinfachungsgesetz“ und beantwortete Fragen von Betroffenen. Sie trat engagiert für Sanktionsfreiheit und Regelsatzerhöhungen als Schritte auf dem Weg zur „Rückabwicklung der Hartz-IV-Misere“ ein. Als sozialpolitische Alternative forderte sie die Einführung eines existenz- und teilhabesichernden Grundeinkommens: „Verfügt der Mensch über einen finanziellen Grundstock und lebt ohne Existenznot, entwickelt er seine Talente und Fähigkeiten und will arbeiten – zu humanen Bedingungen!“ Auf Befragen der Moderatoren der Veranstaltung, Wolfgang Kopf und Dorian Spange vom BGE-SprecherInnenkreis, versicherte Inge Hannemann unter großem Beifall: „Im nächsten Jahr komme ich gern wieder nach Nienburg!“
Zu Beginn ihres Vortrags nannte Inge Hannemann, die seit 2005 als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Hamburg-Altona arbeitete, im April 2013 wegen ihrer öffentlichen Kritik an der Sanktionspraxis freigestellt und inzwischen in das Integrationsamt versetzt wurde, ihre Motive. Die „Rebellin“ hat sich vorgenommen, gegen ihre Arbeitgeber vor den Arbeitsgerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht zu klagen. Die Hartz-IV-Konzeption des „Forderns und Förderns“ sei längst einem technokratischen Vorgehen gewichen, der den überlasteten Jobcenter-Mitarbeitern nur minimale Möglichkeiten lasse, den 12 Millionen Betroffenen Perspektiven zu eröffnen, sie aber durch den Sanktionsdruck aus dem Leistungsbezug dränge: „Die Angst sitzt auf beiden Seiten des Schreibtischs!“ Ihre im März 2014 verhandelte Bundestags-Petition ziele darum auf die ersatzlose Abschaffung der das verfassungsmäßige „sozio-kulturelle Existenzminimum“ verletzenden Sanktionspraxis der Jobcenter nach § 31 und 32 Sozialgesetzbuch 2. Erfreut sei sie, dass die Bundestagsopposition inzwischen geschlossen die Sanktionsfreiheit befürworte. Wichtig sei auch die Anhebung des Regelsatzes auf „von Peter Hartz 2005 geforderte 511 Euro“ sowie die Extrazahlung der Stromkosten entsprechend Miete und Heizung. In der Diskussionsrunde wurde Betroffenen geraten, die Hartz-IV-Eingliederungsvereinbarung wegen der Sanktionsklauseln nicht zu unterzeichnen. Der langjährige DGB-Kreisvorsitzende Rudi Nolte rief dazu auf, am 16. April den Aktionstag „10 Jahre Hartz-IV sind genug“ auch in Nienburg zu begehen.