Kindergrundsicherung für alle!


Dis­ku­tier­ten über eine ein­heit­li­che Kin­der­grund­si­che­rung von 573 Euro bis zum 27. Le­bens­jahr: Wolf­gang Kopf, Ul­rich Kapp, Katja Keul, Axel Nürge und Mar­tina Bro­schei.

Ein Herz für Kinder? Abseits der Wohlstandsquartiere, in denen sich nach neuen Umfragen 60 Prozent der Deutschen „so gut wie nie zuvor“ fühlen, spielt sich in den abgehängten, inzwischen über 15 Prozent der Hartz-IV-Familien ein existentielles Drama ab. 2,5 Millionen ihrer Kinder sind armutsgefährdet, weil sie bei der staatlichen Kinderförderung – Steuerfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag – leer ausgehen.

Ihr Förderbetrag wird vom ohnehin schmalen Sozialgeld abgezogen. Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Bürgerinitiative (BI) Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) im Vorfeld der Bundestagswahl ein öffentliches Parteienforum.

Eingeladen waren VertreterInnen von vier Parteien, die als alternatives Konzept eine einheitlichen Kindergrundsicherung (KGS) befürworten: Ulrich Kapp (Partei Bündnis Grundeinkommen), Martina Broschei (Piratenpartei), MdB Katja Keul (Grüne) und Axel Nürge (Linke). Das KGS-Projekt wurde 2009 vom Bündnis Kindergrundsicherung entworfen und Ende 2016 durch die Grünen (November) und die Linken (Dezember) in den Bundestag eingebracht – dort aber mit der Stimmenmehrheit von CDU/CSU und SPD verworfen.

Vor etwa 30 ZuhörerInnen erläuterte Wolfgang Kopf (BGE) zunächst das traditionelle Drei-Säulen-Konzept der Kinderförderung. Er bezeichnete es kritisch als Vier-Klassen-Förderung. Für Besserverdienende beträgt die monatliche Entlastung durch steuerlich absetzbare Kinderfreibeträge bis zu 280 Euro, auch Ausgaben für Kinderbetreuung und Privatschulen können steuersparend abgesetzt werden.

Kinder von Erwerbstätigen mit mittleren und unteren Einkommen erhalten pro Kind Kindergeld von derzeit gut 190 Euro. Hartz-IV-gefährdete Familien können zusätzlich zum Kindergeld einen Kinderzuschlag von bis zu 170 Euro monatlich beantragen. Für die Ärmsten, die erwerbslosen Hartz-IV-Familien, entfällt die Kinderförderung. Ihre Anspruch auf Kindergeld/Kinderzuschlag ist mit dem Kindersozialgeld (je nach Alter 237 bis 311 Euro monatlich) abgegolten. Sie gehen leer aus. „Ein sozialpolitischer Skandal“, wie der Sozialethiker Prof. Franz Segbers bei seinem Besuch in Nienburg betont hatte.

Stimmt die Schweiz für das Grundeinkommen?

Bericht zur Volksabstimmung am 5. Juni

Nienburg. Am 5.Juni 2016 entscheiden die Schweizer Bürger in einer Volksabstimmung über die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Die Schweiz ist das erste Land, in der das globale BGE-Projekt in einer demokratischen Wahl auf dem Prüfstand steht. Die Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen Nienburg veranstaltete kürzlich einen Informationsabend über diese Volksabstimmung. Als Referent war Markus Härtl aus der Schweiz im Rahmen seiner Vortragsreise durch Norddeutschland im Weserschlösschen. Markus Härtl leitet die Gruppe BGE-Rheintal in der Ostschweiz, ist dort Organisator des Forums für wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zukunftsfragen und im Vorstand der Kampagne BGE Schweiz.

Markus Härtl erläuterte in seinem Vortrag, wie es zu dieser Volksabstimmung kam.
Mitte der 80er Jahre erreichte die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen die Schweiz. Das Postulat (parlamentarischer Vorstoß auf Gemeinde-, Kantonaler oder Eidgenössischer Ebene) der grünen Partei zur Prüfung der Möglichkeiten einer Einführung wurde vom Bundesrat abgelehnt. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) regte in den 90er Jahren erfolglos ein Grundeinkommen für einzelne Gruppen an. Die Grüne Partei nahm Ende der 90er Jahre eine negative Einkommenssteuer in ihr Parteiprogramm auf. Die SP fordert 2006 in ihrem Wirtschaftskonzept Vollbeschäftigung als prioritäres wirtschaftspolitisches Ziel. Auch 2010 hält die SP an der Vollbeschäftigung fest, nimmt aber das Grundeinkommen mit knapper Mehrheit ins Parteiprogramm auf.

Inge Hannemann: Ich komme gern wieder nach Nienburg!

Hartz-IV-Kritikerin plädiert für Bedingungsloses Grundeinkommen

Streitbar und kompetent – so erlebten die etwa 40 ZuhörerInnen, mehrheitlich Hartz-IV-Betroffene, den zweiten Auftritt der bundesweit bekannten „Hartz-IV-Rebellin“ Inge Hannemann (47) im Nienburger Kulturwerk. Die frisch gewählte Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft sprach auf Einladung der örtlichen Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) zum Thema „10 Jahre Hartz IV – Erfolgsmodell oder Armutsfalle?“, kritisierte das geplante Hartz-IV-„Rechtsvereinfachungsgesetz“ und beantwortete Fragen von Betroffenen. Sie trat engagiert für Sanktionsfreiheit und Regelsatzerhöhungen als Schritte auf dem Weg zur „Rückabwicklung der Hartz-IV-Misere“ ein. Als sozialpolitische Alternative forderte sie die Einführung eines existenz- und teilhabesichernden Grundeinkommens: 11033357_10206155147387709_518707793_o„Verfügt der Mensch über einen finanziellen Grundstock und lebt ohne Existenznot, entwickelt er seine Talente und Fähigkeiten und will arbeiten – zu humanen Bedingungen!“ Auf Befragen der Moderatoren der Veranstaltung, Wolfgang Kopf und Dorian Spange vom BGE-SprecherInnenkreis, versicherte Inge Hannemann unter großem Beifall: „Im nächsten Jahr komme ich gern wieder nach Nienburg!“

Zu Beginn ihres Vortrags nannte Inge Hannemann, die seit 2005 als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Hamburg-Altona arbeitete, im April 2013 wegen ihrer öffentlichen Kritik an der Sanktionspraxis freigestellt und inzwischen in das Integrationsamt versetzt wurde, ihre Motive. Die „Rebellin“ hat sich vorgenommen, gegen ihre Arbeitgeber vor den Arbeitsgerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht zu klagen. Die Hartz-IV-Konzeption des „Forderns und Förderns“ sei längst einem technokratischen Vorgehen gewichen, der den überlasteten Jobcenter-Mitarbeitern nur minimale Möglichkeiten lasse, den 12 Millionen Betroffenen Perspektiven zu eröffnen, sie aber durch den Sanktionsdruck aus dem Leistungsbezug dränge: „Die Angst sitzt auf beiden Seiten des Schreibtischs!“ Ihre im März 2014 verhandelte Bundestags-Petition ziele darum auf die ersatzlose Abschaffung der das verfassungsmäßige „sozio-kulturelle Existenzminimum“ verletzenden Sanktionspraxis der Jobcenter nach § 31 und 32 Sozialgesetzbuch 2. Erfreut sei sie, dass die Bundestagsopposition inzwischen geschlossen die Sanktionsfreiheit befürworte. Wichtig sei auch die Anhebung des Regelsatzes auf „von Peter Hartz 2005 geforderte 511 Euro“ sowie die Extrazahlung der Stromkosten entsprechend Miete und Heizung. In der Diskussionsrunde wurde Betroffenen geraten, die Hartz-IV-Eingliederungsvereinbarung wegen der Sanktionsklauseln nicht zu unterzeichnen. Der langjährige DGB-Kreisvorsitzende Rudi Nolte rief dazu auf, am 16. April den Aktionstag „10 Jahre Hartz-IV sind genug“ auch in Nienburg zu begehen.