Vorstellung des Grundeinkommens bei ver.di

Am 3. Juni 2014 stellten Wolfgang Kopf und Axel Nürge, beide Mitglieder des SprecherInnenkreises der Bürgerinitiative, das Grundeinkommen beim Nienburger Ortsverband der Gewerkschaft ver.di auf Einladung derer vor. Bei den anwesenden Gewerkschaftsmitgliedern stieß die Idee auf Zustimmung. Sie fordern ebenfalls eine Art Kinder- und Bildungsgrundeinkommen sowie eine gerechte Rente – jedoch kein bedingungsloses Einkommen für jedermann, da sie sonst eine Schwächung in Lohnverhandlungen der ArbeitnehmerInnen fürchten.

Hier die Vorgestellten Punkte im Wortlaut:

Gute Erwerbsarbeit plus Grundeinkommen – eine solidarische Alternative zur neoliberalen Spaltung der Gesellschaft

Ad 1: Gerechter Lohn und Sozialstaat – gewerkschaftlich erkämpft!
Im 20. Jahrhundert ging aus den sozial- und arbeitspolitischen Kämpfen der gewerkschaftlichen und politisch links organisierten Arbeiterbewegung der moderne europäische Sozialstaat hervor. Dieser verschaffte nach den Erniedrigungen des Feudalregimes der Arbeitnehmerschaft endlich in ihrer Erwerbsarbeit Würde, existenzsicherndes Einkommen und Anerkennung.

Ad 2: Neoliberale Aufkündigung des Sozialkonsens (seit 1970)
Dieser fortschrittliche „Klassenkompromiss“ wird aber seit den 1970iger Jahren und engültig durch das Agenda- und Hartz-IV-Regime von 2004/5 sowohl von der Kapitalseite als auch von einer großen Koalition in der Politik aufgekündigt („Diese Welt ist nicht die unsrige, sondern die das Kapitals“ Max Horkheimer). Gesicherte, geschützte, auskömmliche und
menschenwürdige Voll- und Teilzeit-Arbeitsverhältnisse erodieren, werden „flexibilisiert“. Der neoliberale Megatrend heißt schlechtere Entlohnung, Durchlöcherung von Arbeitsrechten und Sozialordnung, Flucht aus Tarifen, heißt massive Privatisierung von Daseinsvorsorge, Medien und Kultur. Die Proteste der Gewerkschaften und der sich aus ihnen heraus bildenden WASG verhallen zunächst ungehört, z.B. die Montagsdemonstrationen.

Ad 3: Prekäre Arbeit und Hartz-IV-Regime
Um der gesellschaftlich geächteten „Erwerbslosigkeit“ zu entgehen, suchen Millionen Menschen um jeden Preis zwar nicht existenzsichernde, aber immerhin Anerkennung stiftende prekäre, meist stressige „Erwerbs-Rest-Arbeit“ . Die Deregulierung der Arbeitswelt führt zu Minijobs, Leiharbeit, befristeter Beschäftigung, 1-Euro-Jobs, Kurzarbeit, die teilweise aus Steuermitteln auf Hartz-IV-Niveau angehoben werden müssen („Kombi-Lohn“). In Stadt und Landkreis Nienburg arbeiten bereits ¼ der Erwerbstätigen prekär (3720 Personen lt. ver.di Hannover HAZ 12.5.2013). Wer „erwerbslos“ ist, fällt aus dem deutschen Sozialsystem und ist unter dem neoliberalen Motto „Fördern und fordern“ der von Angela Merkel proklamierten „marktkonformen Demokratie“ ausgeliefert. Er bekommt die viel zu niedrige „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ von incl. 625, Euro nur nach Einwilligung zu grundgesetzwidrigen Sanktionen wie Kürzungen bis zu 100% und wenn er sich dem Arbeitsmarkt fast bedingungslos zur Verfügung stellt. Menschenwürde und Sozialstaat (Art. 1 & 20.1 GG) sind zerstört. Zu den dem Hartz-IV-System unterworfenen Menschen gehören inzwischen ca. 10.000 Menschen in Stadt und Landkreis Nienburg (8%), insgesamt 20.000, d.h. 16 % leben in Armut oder sind armutsgefährdet (Harke 2.5.2013).

Ad 4: Zunehmende Spaltung der Gesellschaft
Dieser Verarmung und beginnenden Verelendung weiter Bevölkerungskreise stehen durch immense Renditen, Zinsgewinne, ausgesetzte Steuern und Sozialabbau riesig gewachsene Geldvermögen in immer weniger Privathänden gegenüber: 10% der Bevölkerung besitzen 7,37 Billionen Euro, 90% dagegen nur 3,68 Billionen – eine Steigerung seit 1992 um 200 Prozent für die oberen 10%. Bereits 50% der Deutschen besitzen zurzeit weniger als 15.000 Euro, 25 Prozent haben gar kein Vermögen oder sind überschuldet (Raubbau, S.287).

Ad 5: Die neue soziale Frage Nr. 1: Kampf um gute Erwerbsarbeit
In dieser Situation ist es m.E. richtig, dass die Gewerkschaften den Kampf für die Wiederherstellung und den Ausbau „guter Erwerbsarbeit“ politisch in den Mittelpunkt stellen: gesetzliche Lohnuntergrenze als Mindestlohn, Abbau der prekären Arbeitsverhältnisse, statt „Bankenrettung“ eine angemessene finanzielle Ausstattung des Sozialstaats durch Besteuerung des Reichtums und die Bekämpfung der Steuerflucht (vgl. Nienburger Bündnis „UmFAIRteilen“), weiterhin die Stärkung des Arbeitsrechts, der Flächentarifverträge, der Humanisierung der Arbeitswelt und der Arbeitszeitverkürzung.

Ad 6: Die neue soziale Frage Nr. 2: Solidarität mit den Erwerbslosen
Auskömmliche Einkommen können wegen der oft ungleichen ökonomisch-politischen Kräfteverhältnisse immer weniger erkämpft, Vollbeschäftigung durch Arbeitzeitverkürzung wegen der Blockade der Kapitalseite nicht erreicht werden. Es braucht daher ein Instrument, das die aktuell prekär Beschäftigten, die sanktionsgefährdeten Erwerbslosen im Hartz-IV-Vollzug und zugleich die solidarischen Menschen unterstützt und absichert, die bislang unbezahlt gesellschaftliche notwendige Arbeit leisten – sei es in der Kindererziehung, in der Bildung, in der Pflege und oder im bürgerlichen Engagement (56 zu 96 Mrd. Std.). Dieses Instrument könnte ein existenzsicherndes, bedingungsloses Grundeinkommen sein. Als Existenzgeld sollte es schrittweise dort eingeführt werden, wo es am konsensfähisten ist: als Kindergrundeinkommen, Bildungsgrundeinkommen, Basisrente, Pflege-Grundeinkommen, sanktionsfreie Mindestsicherung (statt Hartz-IV). Über einen Einstieg als Sockelbetrag für alle könnte dann wiederum schrittweise ein existenz- und teilhabesicherndes, ohne
Bedürftigkeitsprüfung und Zwang zu Gegenleistungen ausgezahltes Grundeinkommen für alle von etwa 1000 Euro entwickelt werden. Die Zahlung erfolgt zusätzlich zu Erwerbseinkommen und erworbenen Ansprüchen. Zur Finanzierung stehen verschiedene Modelle bereit (www.grundeinkommen.de).

Ad 7: Mindestlohn und Grundeinkommen als notwendige Ergänzung
Der materielle Sockel des Grundeinkommens (Armutsgefährdungsgrenze 2011: 952 Euro) macht ArbeitnehmerInnen im Kampf um gute Erwerbsarbeit ein Stück unabhängiger und weniger erpressbar von dem Zwang, jeden denkbaren Job anzunehmen. Dadurch würde die gewerkschaftliche Verhandlungsposition langfristig gestärkt. Die Arbeitgeber müssten entsprechend bessere Arbeitsbedingungen und Löhne anbieten. Prekäre Erwerbsarbeit würde immer wieder konfrontiert mit der Utopie würdigen Lebens in einer humanen Gesellschaft.
Für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre jedoch die vorherige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns die wichtigste Voraussetzung. Es bestünde sonst die Gefahr, dass Arbeitgeber das Grundeinkommen missbrauchen, um einen Kombilohn durch die Hintertür durchzusetzen. Auch neoliberale Sozialpauschalen wie das „Bürgergeld“ der FDP (600 Euro) dienen nur dem Zweck, im Sozialbereich Geld zu sparen und vorhandene Sozialsysteme auszuhebeln. Sie haben in der BGE-Diskussion nichts zu suchen.

Zusammenfassend sollte darum die solidarische Alternative zur der einer Demokratie unwürdigen sozialen Spaltung der Gesellschaft lauten:
Gute Erwerbsarbeit für möglichst viele plus ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alle!