Initiative will 1000-Euro-Einkommen für alle Bürger

DIE HARKE über die Gründung der Bürgerinitiative

Das Geld soll als „bedingungsloses Grundeinkommen“ gezahlt werden / Heute Gründung einer Bürgerinitiative geplant

Nienburg (seb). Jeder Bürger erhält 1000 Euro als Grundeinkommen vom Staat. Diese Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist visionär, sagen sie. Für deren Umsetzbarkeit suchen sie Visionäre. Sie, das sind der Politologe Wolfgang Kopf (Nienburg), der Physiker Dr. Friedrich Naehring (Estorf) und acht weitere Kreis-Nienburger:
Sie sind Landwirte, Arbeiter, Hartz-IV-Empfänger, Akademiker, Bankkaufleute. Einige von ihnen haben am Sonnabend in der Innenstadt Flyer verteilt, mit denen sie auf sich, ihre Idee und heute Abend aufmerksam gemacht haben. Im Kulturwerk wollen sie ab 19 Uhr die Bürgerinitiative (BI) „bedingungsloses Grundeinkommen Nienburg“ gründen. Die Idee des Grundeinkommens für jeden „ist für uns eine vielversprechende Perspektive“, sagten Kopf und Dr. Naehring im Gespräch mit der Heimatzeitung.

Schritt für Schritt und in der „offenen Diskussion“ wollen sie eine „Alternative zum Sozialstaatsmodell von vorgestern entwerfen und damit den sich verschärfenden Problemen in der Arbeits- und Lebenswelt wirksam begegnen“. Mit diesem Einkommen, das ohne Bedingungen jedem Bürger garantiert werden solle, wäre die Existenz aller gesichert und ihnen eine kulturelle Teilhabe „ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Arbeitsverpflichtung und andere Gegenleistung“ möglich. Den Vorwurf, dann arbeite niemand mehr, erwiderten sie so: „Menschen sind nicht von Natur aus faul. Die meisten wollen aktiv sein und sich sinnvoll und kreativ betätigen.“ Wie sich die Initiative die Finanzierung vorstellt? „Die Art soll offen bleiben. Es ist finanzierbar. Es gibt 100 mehr oder weniger gute Modelle“, sagte Dr. Naehring, um zu präzisieren: Mit dem Wegfall der steuerlichen Transferleistungen wie HartzIV, Kindergeld oder BAföG, die laut Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei rund einer Billion Euro lägen, gäbe es eine Basis. Zusätzlich müssten Mehrwert-, Einkommens- und Vermögenssteuer einfließen – und Börsengewinne und Erbschaften stärker besteuert werden. Kopf und Dr. Naehring haben Parteibücher, die BI soll aber „parteiunabhängig und überparteilich“ sein, betonten sie. Kopf ist bei den Linken, Naehring bei den Grünen. Bis zu einem Vortrag Sascha Liebermanns über „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ im „Lebensgarten“ in Steyerberg kannten sie sich „nur flüchtig“. An diesem Abend lernten sie sich näher kennen – und bei ihnen wuchs die Idee, die BI gründen zu wollen. Seit Januar hat sich eine Vorbereitungsgruppe regelmäßig getroffen und mit ihren vier Kriterien die Idee auf ihre Umsetzbarkeit überprüft. Dabei geht es um Sicherung von Existenz und gesellschaftlicher Teilhabe, von individuellem Rechtsanspruch, Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung und des Zwangs zur Arbeit. Das Einkommen schaffe die Grundlage, um die „kalte und menschenunwürdige Hartz-IV-Gesetzgebung endlich zu überwinden“, sagte Kopf. Für beide wäre es der „Aufbruch zu einem neuen Gesellschaftsvertrag, der allen Vorteile bringt. Das sogenannte Recht auf Arbeit, im vereinten Deutschland nie verwirklicht, wird ersetzt durch das Grundrecht auf Existenz: Das Grundeinkommen deckt die Lebensbedürfnisse der Menschen ab – es ist unabhängig von weiteren Einkommen.“ Beide blickten auf die Regierung: Auch die CDU-FDP-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag stehen, das Konzept eines bedarfsgerechten Bürgergelds zu prüfen. Überzeugt von der Idee waren am Sonnabend in der Stadt nicht alle. Einige wollten sich erst gar nicht überzeugen lassen und eilten strammen Schrittes an Wolfgang Kopf und seinen Mitstreitern vorbei. Andere, wie ein graumelierter Herr, hörten geduldig zu und resümierten: „Gute Idee.“ „Das kommt für mich nicht in Frage“, kommentierte eine Rentnerin knapp. „Falsch“, erwiderte Kopf, um ihr dann zu erklären, dass es Jung und Alt betrifft. „Auch der Altersarmut wird vorgebeugt“, sagte er – deswegen gehe es in der BI auch nicht ohne die „68er-Generation“. Die ältere Frau ließ sich geduldig die Argumente und die Ziele der BI erklären, nahm den Flyer an sich, verabschiedete sich mit einem Lächeln und bog ab auf die Lange Straße.