Plädoyer für ein elternunabhängiges BAföG

„Schritte zum Grundeinkommen“: Dorian Spange referierte zu BAföG und Bildungsgrundeinkommen

In der Veranstaltungsreihe „Schritte zum Grundeinkommen“ referierte der Nienburger Dorian Spange, Student der Politikwissenschaften an der Uni Bremen, aus eigener Erfahrung über die finanziell prekäre Situation als BAföG-Student. Eine interessierte Zuhörerschaft – darunter auch betroffene junge Studierende – unterstützte die alternative Forderung der veranstaltenden Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) nach Ersetzung des BAföG (Bundesausbildungsförderungsgesetz) durch ein eltern- und altersunabhängiges, rückzahlungsfreies Bildungsgrundeinkommen in existenzsichernder Höhe von etwa 1000 Euro monatlich für alle, die eine Ausbildung, ein Studium oder eine Fortbildung absolvieren.
Die Situation für Studierende ist prekär: Dorian Spange, Mitglied der Bürgerinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen.Dorian Spange zeigte in seiner Power-Point-Präsentation zunächst aus eigener Erfahrung auf, welche Hürden mit dem eng beschriebenen Acht-Seiten-Antrag überwunden werden müssen, um eine Förderungs-Chance zu erhalten. Auch könne ein zu hohes Einkommen der Eltern oder ein eigener (Spar-) Betrag von über 5.200 Euro den Förderungssatz stark verringern oder ganz verhindern.

Der monatliche Höchstförderungssatz beträgt derzeit 670 Euro: 373 Euro Grundbedarf, 224 Euro Mietzuschuss und 73 Euro Kranken- und Pflegeversicherung. Wer noch bei seinen Eltern wohnt und über sie krankenversichert ist, dem stehen monatlich maximal 422 Euro zu. Diese Mangellage veranlasse zwei Drittel aller Studierenden dazu, einer Nebentätigkeit nachzugehen, was ihnen wenig Zeit für das immer stressiger reglementierte Studium lässt, so Spange.
Der Vortragende ging auch auf Studienkredite privater Banken ein. Diese bieten zwar höhere Monatsbeträge an, müssten aber verzinst und zu 100 Prozent zurückbezahlt werden. Fänden Studierende nach dem Studium nicht einen sichereren, gut entlohnten Erwerbsarbeitsplatz, häufe sich ein immer höherer Schuldenberg an. Im Vergleich dazu bezeichnete Dorian Spange das BAföG, das lediglich zur Hälfte und unverzinst zu bedienen ist, als „faires Darlehen“, dessen Rückzahlung bei einem geringeren Monatseinkommen als 1070 Euro auch ausgesetzt werden kann.
Anschließend kritisierte Dorian Spange den Förderungsansatz der CDU, die zusätzlich zum BAföG eine gemeinsam von Privatspendern und Staat finanziertes „elitäres“ Deutschlandstipendium auflegen wolle und referierte die SPD-Forderung nach BAföG-Anpassungen. Diese sind zum Wintersemester 2016/17 angekündigt (maximal 735 Euro, höhere Vermögensfreibeträge, Kinderzuschuss 130 Euro). Das Grünen-Programm sieht ein Zwei-Säulen-Modell mit Rückzahlungsfreiheit vor, dass einen Studierendenzuschuss für alle und einen Bedarfszuschuss für Kinder aus einkommensschwachen Familien vorsieht.
Der Referent favorisierte die angesichts der prekären Studiensituation weitestgehenden Modelle des Programms der Linken und der Piratenpartei: erstere wollen ein um zehn Prozent angehobenes, elternunabhängiges und rückzahlungsfreies BAföG etablieren, die Piratenpartei fordert wie die Bürgerinitiative Grundeinkommen ein bedingungsloses Bildungsgrundeinkommen für alle Studierenden.

Den stillen Helden eine Stimme geben: Sozialethiker Prof. Segbers fordert Pflege-Grundeinkommen

Der Referent Prof. Dr. Segbers neben den Veranstaltern des Abends, Pastor Frank-Peter Schulz (Kreuzkirche Nienburg), Marion Schaper (Diakonisches Werk Nienburg) und Wolfgang Kopf (BI BGE) (v.l.n.r.)


Große Aufmerksamkeit bei den etwa 40 Anwesenden fand Dr. Segbers, Professor für Sozialethik an der Universität Marburg, auch mit seinem zweiten Vortrag im Gemeindehaus der Kreuzkirche.

In den Mittelpunkt stellte er dabei ein engagiertes Plädoyer für die gleichwertige Würdigung und Honorierung aller Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit. Dazu zählten nicht nur die bundesweit 56 Milliarden Stunden in der Erwerbsarbeit, sondern ebenso die 96 Milliarden Stunden (Statistik-Daten von 2001) der meist von Frauen geleisteten Care- oder Sorgearbeit in der Haus-, Erziehungs-, Bildungs-, Pflege- und Freiwilligenarbeit. Die bislang zum Nulltarif den „stillen Helden“ (Angela Merkel, Regierungserklärung 2013) abverlangte Arbeit dürfe — auch vor dem Hintergrund immer prekärerer Erwerbs- und Familienverhältnisse — nicht länger als privates Risiko gelten. Sie müsse als gesamtgesellschaftliche, neue sozialstaatliche Aufgabe begriffen und existenzsichernd mit einem „temporären“ Grundeinkommen von etwa 1000 Euro honoriert werden. Professor Segbers bedauerte, dass das Konzept eines temporären Grundeinkommens für familiär Pflegende derzeit durch eine neoliberale Sparpolitik im Sozialbereich bei gleichzeitiger „unverschämter“ Reichtumsmehrung der Geldeliten blockiert werde. Auch das kirchliche Sozialwort von 2007 sei — im Gegensatz zu dem von 1995 — nur der Erwerbsarbeit samt Niedriglohnsektor und einem „aktivierenden Sozialstaat“ verpflichtet. Biblisch und sozialethisch geboten sei aber, an der Seite der Armen und Armutsgefährdeten zu stehen und „die Komplizenschaft mit dem System der Sünde in Gestalt des Finanzmarkt-Kapitalismus aufzukündigen“. Die Glaubwürdigkeitskrise unserer „dual gespaltenen Gesellschaft“ könne nicht durch eine „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel) überwunden werden. Dazu bedürfe es eines neuen, solidarischen Gesellschaftsvertrages, der auch die hohen und höchsten Kapitaleinkommen zum Ausbau eines humanen Sozialstaates heranziehe (www.care-revolution.de).